BRG Kepler, Graz
Hast Du einmal einen Topf mit Tulpen verkehrt herum aufgehängt? Vermutlich nicht, deshalb wirst Du den unbändigen Willen der Pflanzen, nach oben zu wachsen, noch nicht mit eigenen Augen mitverfolgt haben.
Doch was veranlasst Pflanzen, eine Kurve in ihrem Wachstum einzuschlagen und sich nach oben zu krümmen? Wieso wachsen Wurzeln immer nur in den Boden hinein und nicht hinaus? (Abgesehen von der Tatsache, dass sie hässlich sind und sie keiner sehen will!) Woher wissen Pflanzen überhaupt, wohin sie wachsen sollen? Die Antwort liefert der sogenannte Gravi- oder Geotropismus. Dabei handelt es sich um Bewegungen entweder zum Erdmittelpunkt (Gravitationszentrum) hin oder von ihm weg. Doch woher weiß die Pflanze, wo der Erdmittelpunkt liegt? Die Natur hat sich so genannte Statolithen einfallen lassen, die als Orientierungshilfe für die ‚blinden‘ Pflanzen dienen. Statolithen sind mikroskopisch kleine Stärkekörner, die durch ihr Gewicht der Pflanze die Gravitationsrichtung zeigen. Den Wurzeln zeigen sie den Weg hinunter ins Erdreich, ein positiver Gravitropismus liegt vor (zum Reiz hin).
BLÜTEN ZEIGEN NACH OBEN, WURZELN NACH UNTEN
Blüten wachsen meistens in die Höhe, weisen also einen negativen Gravitropismus auf (vom Erdmittelpunkt weg). Dreht man die Pflanzen um 90°, so dass die Wurzeln waagerecht weiterwachsen müssten, so wandern die Statolithen in den Wurzelzellen nach unten, was dazu führt, dass sich die Wurzel krümmt. Am besten kann man diesen Vorgang bei Armleuchteralgen (Chara) beobachten. Sie haben Rhizoide, schnell wachsende Zellen mit Wurzelfunktion, in denen die Statolithen mikroskopisch gut sichtbar sind. Ein besonderes Exemplar, um den Gravitropismus zu verdeutlichen, ist der Mohn (Papaver) mit seinen leuchtend roten Blüten. Die Knospen des Mohnes sind vor der Öffnung positiv gravitrop, d.h. sie hängen nach unten. Sobald sie sich jedoch öffnen, ändern die Statolithen ihre „Botschaft“ (deren Übermittlung noch nicht ganz geklärt ist), und die aufgehende Knospe krümmt sich nach oben, wird also negativ gravitrop. Pflanzenbewegungen entstehen nicht willkürlich, sondern sind meistens an verschiedene Reize gebunden, wie Temperaturveränderungen, Lichtverhältnisse, Windböen und Berührung. Bei Nastien, einem besonderen Bewegungstyp, spielt die Richtung, aus der der Reiz kommt, keine Rolle, sondern die betreffende Organstruktur. Die meisten Nastien sind Folge von Turgorveränderungen. Turgor ist der botanische Fachausdruck für den Druck, den die Zellsäfte auf die Zellwand ausüben. Wird dieser Druck verändert, zum Beispiel durch eine Berührung, kann Erstaunliches passieren.
REKORD IM PFLANZENREICH
Die einen nutzen diese Druckänderung, um ihre Samen mit möglichst hoher Geschwindigkeit von sich zu schleudern. Ein Beispiel dafür ist der Kanadische Hartriegel (Cornus canadensis), der sein Pollenaufbewahrungslager aufplatzen lässt, sobald ein Lebewesen oder ein heftiger Windstoß eine empfindliche Borste berührt, die sich auf einem Blütenhüllblatt befindet. Durch diesen Vorgang werden die Pollen, die mit unglaublichen drei Metern pro Sekunde herausgeschleudert werden (Geschwindigkeitsweltrekord im Pflanzenreich!), entweder auf den Reizauslöser (das Insekt) gespuckt oder durch den Wind verteilt. So etwas nennt man Seismonastien. Ein anderer, berühmterer Vertreter der Seismonastien ist die Venus-Fliegenfalle (Dionaea muscipula). Jeder kennt das Schauspiel: Ein Insekt lässt sich von den verführerischen Farben der Fangblätter anlocken, landet auf dem Blatt, macht ein oder zwei Schritte, und schon schlägt die Falle zu (in bis zu 100 Millisekunden) – ein Todesurteil für das Tier, welches nun die Bekanntschaft mit allerlei eiweißzersetzenden Substanzen macht und schließlich als Nährstofflieferant dient. Die Reizrezeptoren sind hier abermals kleine; auf dem Blatt verteilte Auslöserborsten, die ein elektrisches Potenzial auslösen, das sich mit einer Geschwindigkeit von sechs bis 20 cm auf der Blattoberfläche ausbreitet und den Schließmechanismus auslöst.
EMPFINDLICH WIE EINE MIMOSE
Eine letzte Pflanze soll hier noch genannt werden: die Mimose, ein Synonym für Empfindlichkeit. Sie klappt ihre Blätter bei der kleinsten Annäherung oder Erschütterung mit einer Reaktionsgeschwindigkeit von 0,08 Sekunden ein. Die Blätter bleiben für die nächsten 20 bis 30 Minuten eingefaltet. Diese besondere Form der Seismonastie ist eine so genannte Alles-oder-Nichts-Reaktion. Das bedeutet, dass die Reaktion in voller Stärke einsetzt, sobald eine gewisse Reizschwelle überschritten wird
. Diesmal liegen die Reizrezeptoren (Borsten) an der Unterseite der Blattgelenke. Pflanzen sind also nicht nur die starren, leblosen Erdbewohner, für die viele von uns sie halten, sondern äußerst raffinierte und hoch entwickelte Lebewesen. Obwohl wir wohl niemals einem Ent wie in „Herr der Ringe“ begegnen werden, können wir dennoch sicher sein, dass die Welt der Pflanzen uns noch längst nicht all ihre Geheimnisse offenbart hat!
Abbildungen: W. Heine
Literatur:
- Volker Arzt (2009). Kluge Pflanzen: Wie sie locken und lügen, sich warnen und wehren und Hilfe holen bei Gefahr. Bertelsmann Verlag, München.
- http://www.focus.de/finanzen/news/perspektiven-weltrekord-die-schnellstepflanzenbewegung_aid_212337.html [20.1.2012]
- http://www.bioboard.de/topic,3106,-carnivore-pfl anzen!–undgt%3B-bewegung.html [20.1.2012]
- http://www.biologie.uni-hamburg.de/b-online/d32/32c.htm [20.1.2012]
- http://www.wissenschaft-online.de/abo/lexikon/biok/11209 [20.1.2012]
- http://de.wikipedia.org/wiki/Pflanzenbewegung [20.1.2012]
- http://de.academic.ru/dic.nsf/meyers/106322/Pflanzenbewegungen [20.1.2012]
- http://www.oxalis-acetosella.com/turgorbewegungen.html [20.1.2012]
- http://www.spacebio.uni-bonn.de/ahp/Gravitropismus/Gravi3.htm [20.1.2012]
- http://www.pfl anzenfundgrube.net [20.1.2012]